Wenn die Kettensäge abrutscht: Rettungsübung im Ebersberger Forst
von Astrid Fischer und Christiane Köhler

Ebersberg – Für den späten Freitagvormittag sind Gewitter angesagt. Doch das ist nicht der einzige Grund für die Spannung, die an diesem 24. Juni morgens über dem Parkplatz auf der Ebersberger Ludwigshöhe in der Luft liegt: Rund zwanzig Frauen und Männer aus der Forstbranche sind hier zusammengekommen - Waldbesitzer, Forstwirte, Unternehmer, Försterinnen und Förster. Sie alle nehmen an einer vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg-Erding organisierten Rettungsübung teil, trainieren den Ernstfall. Und sie alle ahnen: Der vom Bayerischen Roten Kreuz Ebersberg gemimte Unfall wird sich „echt“ anfühlen und unverblümt ans Licht bringen, wie jeder einzelne in so einer Extremsituation handelt.

Nach kurzer Einführung geben Revierleiterin Astrid Fischer und Forstwirtschaftsmeister Thomas Hobmeier einige Blätter Papier an die Teilnehmer aus. Darauf abgedruckt: eine Karte von Bayern mit sechzehn kleinen schwarzen Kreuzen - unregelmäßig auf die sieben Regierungsbezirke verteilt. Ein jedes Kreuz markiert einen tödlichen Unfall bei Waldarbeiten. Die Grafik stammt aus der Unfallstatistik 2021 der Berufsgenossenschaft SVLFG. Obwohl die Zahlen den meisten Anwesenden bekannt sind, wird es in der Runde ganz still. Die traurigen Daten bestätigen, was alle Teilnehmer täglich am eigenen Leib erfahren: Arbeit im Wald ist eine der gefährlichsten, die man verrichten kann!

Viele Unfälle wären vermeidbar

Oftmals ließen sich Unfälle bei der Waldarbeit vermeiden! Durch vorsichtiges und professionelles Arbeiten. „Und nicht zuletzt durch die richtige Selbsteinschätzung“, ist sich Forstwirtschaftsmeister Thomas Hobmeier sicher. Wenn trotzdem ein Mensch dabei zu Schaden kommt, entscheidet eine schnelle Rettungskette über Leben und Tod. Deswegen wird an diesem Tag im Ebersberger Forst der Ablauf für den Notfall für einige Stunden durchgespielt. Im Wald angekommen, händigt Revierleiterin Fischer den schriftlichen Arbeitsauftrag und einen Rettungsplan aus. Dann werden Gruppen eingeteilt: Die einen sind für Notruf und Einweisung des Rettungsfahrzeuges zuständig, die anderen für die Erstversorgung eines Verletzten. Und zusätzlich gibt es an diesem Tag noch eine Beobachtergruppe. Sie soll das Geschehen mit kritischem Blick verfolgen und schriftlich festhalten, was gut läuft und wo nachgebessert werden muss. Jetzt kann es losgehen...
Hinter einem kleinen Hügel im Wald stoßen die Teilnehmer der Übung unvermittelt auf einen verletzten Kollegen. Revierleiterin Fischer drückt die Stoppuhr, die Rettungsübung beginnt.

Perfekte Maskerade: Das BRK-Team leistet ganze Arbeit

Das Team des BRK hat ganze Arbeit geleistet: Zwar alles Schminke, aber die klaffende Schnittwunde am Unterschenkel von Azubi Max Bollinger sieht absolut echt aus. Genauso die Platzwunde an seinem Kopf. Bollinger liegt am Waldboden. Er stöhnt vor Schmerz. Neben ihm: eine mit Kunstblut verschmierten Motorsäge. Obwohl Blut und Verletzungen aus dem Schminkkasten stammen, steigt der Adrenalinspiegel der Retter sofort sprunghaft an.

Schwierige Situation

Mit zitternden Händen wählt einer von ihnen den Notruf, während sich ein anderer ans Stillen der Blutung mit Druckverband macht. Nach sechs Minuten ist die integrierte Leitstelle informiert, nach 15 Minuten treffen Sanitäter an der Unfallstelle ein. Den Ersthelfern fällt in diesem Moment fast hörbar ein Stein vom Herzen, denn inzwischen hat der Verletzte das Bewusstsein verloren, musste in die stabile Seitenlage gebracht werden. „Du kniest am Boden neben deinem verletzten Kollegen und betest, dass er nicht aufhört zu atmen!“, beschreibt ein Ersthelfer seine Gefühle.

Lob in der Nachbesprechung

Der Transport des Verletzten über teils steiles rutschiges Gelände dauert weitere fünfzehn Minuten. Nach insgesamt rund 40 Minuten drückt Revierleiterin Fischer wieder die Stoppuhr: Denn die Tür des Sankas fällt hinter Unfallopfer Max Bollinger ins Schloss. 40 Minuten vom Auffinden des Verletzten bis zum jetzigen Augenblick – das ist eine gute Zeit! Bei der abschließenden Übungskritik gibt´s dafür Lob von den BRK-Profis: „Unkonventionell, aber sehr gut“ seien die Teilnehmenden bei ihrer Rettung vorgegangen. „Man merkt, das sind Macher, die anpacken! Ob die stabile Seitenlage genau wie im Lehrbuch durchgeführt wird, ist dann nicht mehr so wichtig“, erklärt Martha Stark, Rettungsdienst-Leiterin des BRK.

Fazit

Für die teilnehmenden Forstleute ist vor allem eines klar geworden: Der Weg vom Sanka zum Verletzten im Wald ist weit. In Zukunft will jeder von ihnen vor Beginn ihrer Waldarbeit ganz bewusst überlegen, wie sie ihren Standort beschreiben müssten, damit Retter im Ernstfall schnell zum Unfallort vordringen könnten.
Revierleiterin Fischer ist zufrieden mit der Übung und auch ein bisschen stolz: „Dass die Teilnehmer das gut machen würden, daran hatte ich keinen Zweifel! Trotzdem bin ich froh, dass wir unser Handeln gemeinsam vom Arbeitsauftrag bis zum Eintreffen des Sankas überprüfen konnten. Alle haben mitgemacht, mitgedacht und mit verbessert.“ Und dann fügt sie noch hinzu: „Jetzt hoffen wir, dass wir das Ganze in der Realität nie werden anwenden müssen.“